Drehen wir eine Schiffsglocke

Nahezu jedes Schiff ab einer bestimmten Größe hat eine Schiffsglocke. Früher wurden mit der Glocke im Halbstunden-Rhythmus die sog. Glasen für die vierstündigen Wachgänger signalisiert. Auch im Zeitalter der Moderne mit zeitgemäßen Nachrichten und Signalmitteln darf man auf eine traditionelle Schiffsglocke mit ihren lauten Schall nicht verzichten, die elektrischen Signalmittel könnten ausfallen usw. Die Glocke ist mit dem eingravierten Schiffsnamen heute auch Zier. Wenn bei vielen Schiffsmodellen oft Details, welche größer als eine Glocke sind, weggelassen werden, so hat doch fast jedes Modell eine Glocke. Ich habe keine Ahnung, ob es so kleine Glocken überhaupt zu kaufen gibt, meist drehen die Modellbauer die Glocken irgendwie selbst.

Das Drehen einer recht kleinen Glocke ist eine nicht sehr einfache Formdreharbeit. Ich hätte Schwierigkeiten, die schöne Außenkontur einer Schiffsglocke nur durch das gleichzeitige Kurbeln an den beiden Supportkurbeln, quasi „frei Hand“ zu drehen. Dies ist ebenso schwierig, wie nur eine einfache Kugel zu drehen. Dieses Freihand-Kurbeln ist jedoch gar nicht nötig, wir haben ja unsere CNC-Einrichtung. Spaß beiseite, es geht schon immer ohne den CNC-Kram, man sollte nur wissen wie. Schon als ich vor Jahrzehnten mit hellwachem Sinn den Beruf eines Werkzeugdrehers lernte, haben meine „Lehrfacharbeiter“, so hieß das in der DDR, die schwierigsten Formdreharbeiten z.B. für Tiefziehwerkzeuge nach einer vergrößerten (in der Regel 10-fach größer) maßstäblichen Zeichnung auf Millimeterpapier haargenau ausgeführt. Ich nenne dieses Verfahren in meinen beiden Bänden „Drehen für Modellbauer“ treffend „gestuftes Formdrehen“. Ich wende dieses Verfahren bei meinem Modellbau oft an, wenn es z.B. darum geht, mehrere Formdrehteile herzustellen, deren Formen sich viel besser als ein Ei dem anderen gleichen sollen und bei denen wegen der Größe das Drehen mit einem speziell geschliffenen Formstechstahl ausscheidet. Hat man z.B. an einem Modell zwei Formdrehteile recht nahe beieinander, so nimmt das Auge jede Formungleichheit deutlich war.

Z. B. die drei gleich großem Glocken für mein 1:50-Zerstörer-Modell. Wenn man mit der Bildersuche im Internet z.B. das Wort „Schiffsglocke“ googelt, so findet man eine Vielzahl von oft unterschiedlichen Glockenformen. Als Grundlage diente mir eine Schiffsdetail-Zeichnung, welche der Modellplan-Autor Herbert Thiel in der DDR-Zeitschrift „modell bau heute“ veröffentlicht hatte (Abbildung 1) . Er hat sich damals die Mühe gemacht, eine schön geformte Schiffsglocke als Schnittzeichnung mit Innen- und Außenkontur in drei Größen zu zeichnen. Mit einem Zoom-Kopierer habe ich die Kontur der größten abgebildeten Glocke (Ø 400) vergrößert. Meine Glocken müssen am unteren Rand einen Durchmesser von 8,8 mm haben. Die Vergrößerungszeichnung sollte, wie bei mir üblich, den Maßstab 10:1 haben. So habe ich den Halbmesser auf 44 mm gebracht. Es genügt in diesen Fällen völlig, nur eine Hälfte zu zeichnen. Diese Halb-Zeichnung habe ich unter ein Stück transparentes Millimeterpapier gelegt und die Kontur nach dem Ausrichten der Mittelachse auf einen vollen cm-Strich mit einem Kurvenlineal übertragen (Abbildung 2) (kleine Fotos anklicken). Entscheidend ist das Kurvenstück, das ich mit (b) bezeichnet habe. Mit (a) ist die Mittelachse bezeichnet, (e) ist der Aufhänge-Zapfen oben an der Glocke, (f) und (g) sind gerade Kanten. In Abständen von 2 mm (bei der später gedrehten Glocke wären das 0,2 mm) habe ich die Schnittpunkte der Kontur (b) eingekreuzt (Abbildung 3) . Daraus ist zu erkennen, daß die dabei entstehenden Stufen umso länger werden, je mehr sich die Kurve flacht. In Abbildung 4 habe ich diese Stufen für eine bessere Sichtbarmachung geschwärzt.

Sowohl die Durchmesser als auch die Längen der Stufen kann man aus dieser Zeichnung herauszählen. Dabei ist man sich stets bewußt, daß 1 mm der Zeichnung nur 0,1 mm am Modellteil entsprechen. Ich habe drei 10-mm-Rund-Messing-Stücke vorbereitet und ihnen nicht zu kurze 6-mm-Spannzapfen angedreht (Abbildung 5) . Am Übergang zum Ø 10 hat der Zapfen noch einen kürzeren Absatz Ø 7. Die Teile wurden nun auf den 6-mm-Zapfen gespannt und zuerst auf den Außendurchmesser 8,8 mm (siehe Abbildung 2 links-unten) ganz überdreht. Damit ich dabei nicht in die Futterbacken fahre, war der kurze Ø 7 als Backenanschlag vorgesehen. Bei den folgenden Arbeitsgängen werden alle drei Ms-Stücke immer bis zu diesem Anschlag an die Backen geschoben. Als nächstes wurden bei geklemmten (!) Bettschlitten die gleichen Längen mit einem gut geschliffenen HSS-Seitendrehstahl plangedreht (Abbildung 6) und die Skala vom Obersupport sofort „genullt“. Für das nun folgende Andrehen der Stufen ist diese genullte Planfläche quasi der „Start“, von dem aus alle Längen der Stufen auf 0,1 mm genau von Hand, unter großer Konzentration und recht langsam durch Fahrt mit dem Obersupport angedreht werden. Der Außendurchmesser war 8,8 mm. Die erste Stufe drehe ich mit dem Ø 8,4 mm an. Jede Stufe hat nach der Abbildung 3 eine Höhe von 0,2 mm. Der Drehstahl reduziert den Durchmesser (!) jedoch um 0,4 mm. Die nächste Stufe wäre dann beim Ø 8,0 zu drehen, dann 7,6 usw.. Die erste Stufe wird 5,7 mm lang angedreht, wir sind dann bei (j) in Abbildung 3. Die zweite Stufe ist 5,55 mm lang usw. So entsteht Stufe für Stufe, man könnte sie auch Absätze nennen, die Rohform der Glocke (Abbildung 7) .

Alle drei vorgedrehten Glocken müssen so zwangsläufig gleich aussehen (Abbildung 8) . Danach habe ich mit einem Abstech-Drehstahl die Längen 6,5 mm (vgl. Abbildung 3) vorerst nur vorgestochen (Abbildung 9) und mit dem etwas schräggestellten Stechstahl den Konus oben für die Aufhänge-Zunge angestochen (Abbildung 10) . Danach wurden die Schrägen (f) und (g) in Abbildung 2 mit dem Dreikantschaber angedrechselt. Auch alle Stufen wurden vorsichtig mit diesem Werkzeug weggenommen. Bei Messing geht das sehr gut. Die Schräghaltung des Dreikantschabers, den ich aus einer Dreikant-Nadelfeile geschliffen und danach gut abgezogen habe, soll bei rechtsdrehender Arbeitsspindel so wie im Foto Abbildung 11 sein, eher noch etwas schräger, doch nie (!) in entgegengesetzter Richtung. Dies wäre eine große Unfallgefahr, wenn z.B. die Spitze des Schabers in die sich drehenden Futterbacken gerät. Die Drehzahl ist nie zu hoch und ein Ungeübter gibt auch sehr wenig (!) Druck auf den Schaber. Wenn er richtig scharf ist, so schneidet er fast von selbst. Wenn bei diesem „Drechseln“ Rattermarken entstehen, so ist entweder die Drehzahl noch zu hoch oder die Stellung des Schabers stimmt nicht, man kann diesen ja auch um seine Achse etwas verdrehen. Immer jedoch unterstützt man die Schaberspitze mit allen Fingern möglichst beider Hände, damit dieses Handwerkzeug nicht hakt oder unkontrolliert weggerissen wird.

Man kann das „gestufte Formdrehen“ selbstverständlich auch mit anderen „Stufenhöhen“ anwenden, z.B. nur feine 0,1 mm hohe oder auch höhere Stufen. Höhere Stufen würden bedeuten, daß man anschließend mit dem Schaber mehr Material wegnehmen müßte. Wie man in unserem Beispiel der Glocken, Außenkonturen herstellen kann, so lassen sich selbstverständlich auch Innenkonturen nach der gleichen Millimeter-Papier-Methode drehen. In beiden Fällen ist ohnehin höchste Konzentration wichtig. Damit ich mich bei den nach und nach anzudrehenden Stufen nicht verzähle, „hake“ ich jede dieser Stufen auf der Zeichnung mit einem Haken √ ab. So kann es nicht passieren, daß ich eine der verschiedenen Längen vergesse oder gar zweimal andrehe. Beispiele für diese besondere Art des Formdrehens beim Schiffsmodellbau wären die langegestreckt gerundeten Köpfe von Torpedos oder Grundminen (Abbildung 12) , Radome von Radaranlagen (Abbildung 13) und ein besonders schönes Beispiel: die stromlinienförmigen Schwimmer von Minenräumgeräten. Letztere bekommt man anders kaum so gleichmäßig hin, wie mit der Stufen-Methode. Für eine Innenkontur benutzt man einen HSS-Eckbohrstahl. Die „Hohe Schule“ für das Innendrehen wäre die Arbeit mit einem Bohrstahl, welcher einen Radius an der Schneidenspitze hat. In dem Fall würden kaum oder nur leichte Stufen entstehen, die man innen ohnehin nur mühsam „verdrechseln“ kann.

Der kurze Zapfen für die Aufhänge-Zunge kann ebenfalls mit dem Dreikantschaber gerundet angearbeitet oder mit einer Nadelfeile angefeilt werden (Abbildung 14) . Nach dem Polieren (Stoff-Schwabbelscheibe plus Polierpaste) sehen die Glocken schon recht gut aus (Abbildung 15) . In einem Teilgerät wurden danach die Zapfen in Aufhänge-Zungen gefräst und sie erhielten kleine Quer-Bohrungen (Abbildung 16) . Am unteren Rand dieses Fotos liegt übrigens eine Hängevorrichtung für eine der Glocken. Nun konnte ich die Glocken ganz abstechen (Abbildung 17) .

Zu dem Zeitpunkt sind die Glocken innen noch massiv. Zumindest die untere Hälfte der Glocken wollte ich aber hohl haben. Für den Fall, daß man das Schiffsmodell auch einmal aus niedriger Perspektive anschaut. So habe ich die Zeichnung nach Abbildung 2 um die Innenkontur ergänzt. In Abbildung 18 ist das zu sehen. Die Glocke kann man wegen der Außenkontur nicht mehr normal, z.B. in einem Backenfutter, spannen. Ich mußte mir etwas einfallen lassen. Das war in dem Fall wegen dem Material Messing relativ einfach. Ein Stück 6-mm-Rund-Messing erhielt eine Bohrung. Diese wurde wieder mit einem Dreikantschaber vorn so gerundet ausgedrechselt (Abbildung 19) , daß ich eine Glocke relativ „unverwackelt“ einstecken konnte. In einer Pinzette hielt ich dieses Materialstück senkrecht und konnte so die erste Glocke einlöten (Lötwasser/Lötsäure aus dem Baumarkt)(Abbildung 20) . Auf diesem Foto sieht es so aus, als würde alles glühen. Das war aber tatsächlich nicht der Fall, das lag nur an der Belichtung mit Kunstlicht. Oben sieht man noch den kleinen Abstechpieps, welcher dann als erstes weggedreht wurde.

Nach Abbildung 18 habe ich zuerst mit Ø 1 auf 6 mm tief vorgebohrt (k in Abbildung 18), danach mit einem 4-mm-Wendelbohrer 4,5 mm tief (die Querschneide des Bohrers!) aufgebohrt (l in Abbildung 18 und Abbildung 21) . Das Material bis zur gerundeten Innenkontur (m) habe ich dann kunstvoll mit dem Dreikantschaber herausgenommen. Dabei kann man nicht zu viel falsch machen. Es entsteht so zumindest bei der unteren Glockenhälfte eine dünne Wandstärke von etwa 0,4 bis 0,5 mm Stärke (Abbildung 22) . Oben bleibt noch 1,5 mm lang ein Rest der 1-mm-Bohrung (k). Auf der Uhrmacherdrehmaschine (jede andere Drehmaschine tut es auch!) habe ich nun die Klöppel gedreht, mit welchen die Glocke angeschlagen wird (Abbildung 23) . Unten hat der Klöppel eine Kugel und darin eine 0,25-mm-Bohrung. Das Mittelstück hat einen Ø 0,4. Man kann es auf jeder Drehmaschine gut drehen, die Voraussetzung ist, daß die HSS(!)-Drehstahlschneide möglichst auf 1/100 mm genau auf Mitte steht. Oben hat er eine Ø-1-Verdickung, die es beim Original zwar nicht gibt, die ich allerdings in die 1-mm-Bohrung der Glocke einkleben kann. Meine Klöppel sind also starr. Bei Abbildung 24 sehen wir die drei Klöppel und dazu drei aus 0,25-mm-Ms-Draht gebogene Ösen, welche in die Bohrungen der Klöppel eingeklebt werden (winzige Tropfen von Sekundenkleber). Abbildung 25 zeigt die eingeklebten Klöppel mit den Ösen, an welche ich dann den ebenfalls aus Messing gedrehten Platting (geflochtener Handgriff) „eingebunden“ habe. Damit dieser Griff am Modell wie Flechtwerk aussieht, habe ich ihn beige/gelblich gestrichen (vgl. Foto der Glocke am Deckshaus). Abbildung 26 zeigt unsere drei Glocken zusammen mit zwei noch kleineren, die auf die gleiche Weise hergestellt wurden. Sie fanden ihren Platz in den beiden 26-Fuß-Beibooten des Zerstörers (Abbildung 27) . Und die Abbildung 28 zeigt eine der drei Glocken in ihrer Halterung an der Hinterkante vom obersten Deckshaus. Die vier im Bild sichtbaren Belegnägel für Flaggleinen wurden aus Neusilber gedreht. Mit dem Material, das sich gut wie Messing bearbeiten läßt, kann man beim Modellbau (Original-)Teile aus Edelstahl imitierten.

Jürgen Eichardt

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