Die sowjetischen Flußkanonenboote der SHMEL-Klasse

 the SHMEL-class soviet river cannon boats

Geschichte

Russland ist reich an Binnenseen, großen Strömen und Binnenwasserstraßen. Daher hat der Bau von Flußkampfschiffen eine lange Tradition. Bereits kurz nach der Niederlage gegen Japan im Jahre 1905 wurden für die fernöstlichen Grenzflüsse Amur und Ussuri mehrere Serien von Flußkanonenbooten und –monitoren gebaut. Die Flußkanonenboote der ersten Serie, die sog. BURYAT-Klasse (1905 bis 1907 gebaut), waren z.B. 193 ts groß, bei 54,50 m Länge und 8,20 m Breite und hatten dabei einen Tiefgang von nur 0,80 m. Bewaffnet waren die drei Boote mit zwei 75-mm-L/50-Kanonen in Einzellafetten und einer Anzahl MG´s ; alle Waffen hoch aufgestellt auf dem Aufbaudeck. Die acht in der Wasserlinie 114 mm stark gepanzerten Flußmonitore der GROZA-Klasse waren dann mit 73,80 x 12,80 x 1,4 m und 946 ts sogar die größten Flußkampfschiffe der Welt. Sie hatten eine extrem flache Silhouette, waren 8,9 kn gegen den Strom schnell (14,7 kn bei Talfahrt), hatten 117 Mann Besatzung und waren mit zwei 152-mm-L/45-Einzeltürmen, zwei diagonal aufgestellten 120-mm-L/45-Zwillingstürmen und sieben MG´s bewaffnet. Daneben wurden aber in den Jahren bis zur Oktoberrevolution in Russland auch diverse kleinere Flußwachboote mit leichter Panzerung gebaut, z.B. die zehn Boote der PULYA-Klasse . Sie waren 22,20 x 3,20 x 1,50 m groß, verdrängten max. 25 ts und mit ihren 200 PSe 14,5 kn schnell, 10 Mann Besatzung, die Waffen: eine 75-mm-L/50-Kanone mit Schutzschild und zwei MG´s. Ihre Entwürfe stammten aus den Jahren 1906/07. Ursprünglich auf dem Amur eingesetzt wurden sie später sogar in der Ostsee und im Schwarzen Meer als U-Jäger weiter verwendet. Neun ähnliche Boote lieferte noch 1917 die Werft Becker & Co. Reval. 18 wesentlich kleinere Boote, nämlich nur 16 m lang und 15 ts verdrängend und mit nur zwei MG´s in kleinen Türmen an Bug und Heck bewaffnet, kamen 1916 von Werften in Odessa und dem finnischen Borgo. Ebenfalls 1917 lieferte eine US-Firma achtzehn gepanzerte Flußboote der N-Klasse : 9,15 m lang, 2,44 m breit, 6,5 ts verdrängend und mit einem knapp 100 PSe-Motor 11 kn schnell. Im Drehturm befand sich ein 5-mm-Maxim-MG und in der Plicht stand eine 37-mm-Kanone von Hotchkiss.

In den Jahren 1934 bis 1937 wurden wieder sechs extrem flachgehende (nur 88 cm Tiefgang) große Flußmonitore der ZHELEZNYAKOV-Klasse aus 16 bis 20 mm dicken Stahlplatten gebaut. Sie waren 51,20 m lang und verdrängten max. 263 ts. Dabei waren sie durch 2 x 140 PSe 8,3 kn schnell und hatten 72 Mann Besatzung. Die Hauptkaliber, zwei 102-mm-L/60-Kanonen, waren in einem 20 mm dick gepanzerten Turm mittschiffs aufgestellt, welcher ein Feuern um 360° ermöglichte. Die zentrale Achse dieses Turms trug darüber einen weiteren kleinen Turm mit dem Kommandostand. Weitere Rohrwaffen waren: vier 45-mm-L/46-Flak in Zwillingstürmen, zwei 37-mm-Flak 70K in Einzellafetten, drei 12,7-mm-MD´s und zwei MG´s 7,62 mm Typ „Maxim“. Die beiden Propeller liefen in Propellertunneln unter dem Heck. Die Boote waren auf dem Dnepr und der Donau eingesetzt.

Bei den Panzerkuttern kann man zu Zeiten der Sowjetunion eine Typenfamilie mit zahlreichen ähnlichen Projekten sehen. All diese Boote mußten eisenbahnverladefähig sein, damit sie schnell von einem Kriegsschauplatz zum anderen gebracht werden konnten. Damit war ihre Größe beschränkt. Die Standfestigkeit wurde jeweils vor allem durch eine besonders stark gepanzerte „Zitadelle“ mittschiffs gewährleistet, in der die Unterbauten der Hauptkaliber (oft praktischerweise die Türme von Kampfpanzern) mit dem Munitionsvorrat und der Motorenraum dazwischen untergebracht waren. Die Seitenhöhe der Rümpfe war sehr gering. In den Räumen konnte man nicht aufrecht stehen. Die Raumhöhe betrug bei den großen Panzerkuttern nur 1,55 m. In dieser Abb. sehen wir mehrere Varianten vom Projekt 1124, dessen Projektierungsarbeiten schon 1932 begannen. Die Boote waren 25,30 m lang, 4,06 m breit und gingen bei einer Verdrängung von 47,3 ts 76 cm tief. Der Rumpf hatte zehn wasserdichte Abteilungen. Die Wände der Zitadelle waren im Krieg 14 mm dick. Angetrieben wurden sie von englischen und US-Otto-Motoren (Leihpachtlieferungen). Etwa ab 1942 hatten die Boote auch Katyusha-Geschoßwerfer (im deutschen Landser-Sprachgebrauch „Stalinorgeln“) an Bord. Mit dem Projekt 1125 gab es zusätzlich während des Krieges eine kleinere Variante von nur 29,3 ts Verdrängung bei ähnlicher Konzeption wie 1124, jedoch nur einem Panzerturm. Auf die Entwicklung der teils sehr viel größeren Flußkanonenboote soll hier nicht eingegangen werden.

Die SHMEL-Klasse

Als sich der sowjetisch-chinesische Konflikt um den Führungsanspruch beim Welt-Kommunismus, welcher in der 1950er-Jahren begann und sich bis in die 80er-Jahre hinzog, in den 1960er-Jahren verstärkt abzeichnete, begann man in der UdSSR mit der Entwicklung des Projekts AK 1204 (AK = Artiljerijskij Kateri)(NATO-Code: SHMEL-Klasse). Chefkonstrukteur war L.V.Ozimov. In den Jahren 1965 bis 1974 wurden insgesamt 119 Boote gebaut; in Kertsch 98 Boote, der Rest in Nikolajev. Zusammengebaut wurde sie in Chabarowsk. Man hatte mit den Booten kampfstarke Einheiten, welche bei Grenzstreitigkeiten (Ussuri-Zwischenfall) auf dem langen Grenzfluß AMUR zu China auch zum Einsatz kamen. Daneben sah man die Boote auch auf der Donau, im Kaspischen und Schwarzen Meer. Vier Boote wurden an Kambodscha abgegeben.

Die Boote waren 27,70 x 4,32 m groß, hatten eine Seitenhöhe von 2,00 m und bei 75/77 ts einen Tiefgang von 80 cm. Angetrieben wurden sie von je zwei der bekannten Schnellboot-Schnell-Läufer-Diesel-Motoren M-50F mit einer Gesamtleistung von 2.400 PS. Das ergab eine Geschwindigkeit von beachtlichen 23 kn. Bei 20 kn Fahrt konnten mit dem Kraftstoff-Vorrat von 4,75 Tonnen 240 sm durchlaufen werden. Die Seeausdauer betrug für die 14-köpfige Besatzung (1 Offizier) 7 Tage. 200 Liter Frischwasser waren an Bord und die Boote konnten bis See 3 eingesetzt werden.

 

Der Spantenriß zeigt die ungewöhnliche Rumpfform dieser Klasse. Der Rumpfboden ist vollkommen eben. Die Propeller laufen in Propellertunneln, beginnend beim Spant 5 bis zum geknickten Spiegel; ihre Drehkreise unterragen den Boden nicht, damit es hier zu keinen Grundberührungen kommt. Die Kimmrundung ist extrem klein. Die Seitenwände sind über Wasser nach innen schräg gestellt, unter Wasser stehen sie senkrecht. Einen Eindruck von der Enge im Raum vermittelt die Abb. 5 . Das weit ausladende Vorschiff hat einen Außenhautknick und V-Spantformen. Am Knick der Bordwandteile sitzt eine umlaufende Scheuerleiste, welche beim Vorschiff in eine Spritzwasserschiene übergeht. Der Panzerung der Boote war unterschiedlich: Rumpfseiten 8 bis 19 mm, Querschotten 8 mm, Deck 5 mm, Türme 10 bis 15 mm und die Barbetten und der Kommandoturm 10 mm dick. An Seite-Deck sind an der Bordwand kräftige Blechösen angeschweißt. Mit diesen können die Boote mit einer Krantraverse aus dem Wasser gehoben werden.

Die Boote waren recht unterschiedlich bewaffnet. Als Hauptwaffe fuhren die Boote auf der Back einen 76-mm-Turm vom leichten Schwimmpanzer „PT-76“ . Dafür waren 150 Granaten an Bord. Im hier abgebildeten Generalplan gibt es am Heck einen kleineren Turm mit zwei überschweren MG´s „2M-7“ und zwei relativ kurze Minengleise. Spätere Boote haben am Heck einen 25-mm-Flak-Zwilling „2-M-3“ , diesen allerdings mit einem nach innen schrägstehenden Aufsatz auf dem üblichen Splitterschutz . Mittschiffs war oft ein BM-14-17-Raketenwerfer zu sehen. Die 17 steht hier für die Anzahl der Rohre (Kampfsatz: 34 Raketen an Bord). Der Werfer für ungelenkte Raketen mit einem Kaliber von 140 mm wurde bereits in den 1950er-Jahren für die Landstreitkräfte entwickelt. Ab 1959 gibt es die navalisierte Version. Die Raketen mit einem 18,8-kg-Sprengkopf können in einer Salve innerhalb von 7 bis 10 Sekunden auf maximal 10 km Reichweite gestartet werden. Teilweise war auch ein Startgerät für Panzer-Abwehr-Flugkörper Typ „Maljutka-AT3A“ installiert. Alle Boote hatten Minengleise zur Aufnahme von: vier Minen „UDM-500“ oder 2 x „UDM-1000“ oder sechs „KPM“ oder acht kleine Minen „YAM“ am Heck. In Höhe Spant 5 sieht man an Seite Deck vier Sliplager für Nebelbehälter. Auch mit entsprechender Elektronik waren die Boote ausgestattet: Radar „Donets-2“, Nachtsichtgeräte, Echosounder „NEL-7“, KW- und UKW-Radio, Gyro-Kompaß „Gradus-2“.

Auf dem Deckshaus gibt es einen kleinen Sommerfahrstand, dahinter einen Vierbeinmast mit Radargerät. Die hinten angesetzte Stenge kann für Brückendurchfahrten umgeklappt werden . Vor dem Fahrstand stehen ein großer Scheinwerfer und davor die Kuppel vom Infrarot-Nachtsichtgerät. An Achterkante Deckshaus ist in meiner Skizze ein Ladebaum angebracht, mit dem das Beiboot bedient wird. Bei einigen Booten gibt es an dieser Stelle eine Kasematte mit vier Schießscharten, aus denen MG-Schützen feuern können. Oben ist diese offen . Als ich zu DDR-Zeiten meinen Modellplan vom „Flußkanonenboot“ nach wenigen aber sehr guten Fotos (Beispiel ), aufgenommen von einem Hobbyfreund im damaligen Leningrad, gezeichnet habe, wußte ich noch nichts von dieser Tatsache. Die Modellbaugruppe um Günter Jedwabski (Jette) hat nach diesem Plan eine Serie von 1:25-Modellen gebaut, welche als „Buna-Wasserballett“ bekanntgeworden sind. Diese Fotos (Danke Jette für die Fotos) zeigen eines dieser Modelle und hier eines mit einer speziellen (belegten!) Tarn-Farbgebung.

Hier noch zwei weitere Skizzen von Flußkanonenbooten: Projekt 192 und das ähnliche Projekt 1124:

Den erwähnten Plan „Flußkanonenboot“ können Sie für den Maßstab 1:25 bestellen: juergen-eichardt@web.de oder Tel.: 0721-47040072. Nach heute zur Verfügung stehenden, besseren Unterlagen konnte ich eine neue Skizze von der SHMEL-Klasse und einen authentischen Spantenriß im M 1: 50 anfertigen (beides siehe oben). Sie sind hier verkleinert wiedergegeben.

Jürgen Eichardt

Weiterführende Literatur:

-      A. S. Pavlov, „Warships oft the USSR and Russia 1945-1995“, Naval Institute Press, 1997, ISBN 1-55750-671-X

-      V. Yakubov/R. Worth, “Raising the Red Banner”, Spellmount, 2008, ISBN 978 1 86227 450 1

-      Siegfried Breyer, “Enzyklopädie des sowjetischen Kriegsschiffbaus” 3 Bände, 1987

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