Viermastbark MAGDALENE VINNEN

four-mast bark MAGDALENE VINNEN

Die russische Viermastbark SEDOV war bei der „Kieler Woche 2006“ mit Sicherheit das „Flaggschiff“ unter den Gästen: hunderte kleinere und größere Segelschiffe aus alle Welt. An einem Wochentag, recht früh am Vormittag hatte ich Gelegenheit, das Schiff gründlich und ohne störende Besucher am Oberdeck zu fotografieren. Mein erster Eindruck an Bord war der bedauernswerte Zustand, in dem sich das früher so stolze Schiff heute befindet. Zur 800-Jahrfeier des Hamburger Hafens im Jahre 1989 hatte ich das Schiff schon einmal gesehen (kleine Fotos anklicken). Damals „stand es noch gut in Farbe“. Heute gibt es nur Rost und Gammel, wo man auch hinschaut. Ich staune darüber, daß sich das Schiff überhaupt noch auf das Meer wagt! Dabei fehlt es beileibe nicht an Händen, welche die Pinsel schwingen könnten. Auch am guten Willen fehlt es sicher nicht; es fehlt offensichtlich am Geld für neue Farbe!

Die heute russische SEDOV mit Heimathafen Murmansk (2006 noch Riga) ist die ehemalige MAGDALENE VINNEN. Das Schiff wurde in einer Zeit gebaut, als die Entwicklung der frachttragenden Segelschiffe auf dem Höhepunkt stand. Um mit der zunehmenden Konkurrenz der Dampf-Frachter noch einige Zeit Schritt halten zu können, mußte bei den Segelschiffen vor allem Personal eingespart werden. Dampf- und moderne Brassen-Winden erleichterten die Arbeiten mit den riesigen Takelagen; Hilfsmotoren waren für das Navigieren in engen Fahrwassern ohne Schlepper-Assistenz und als „Flautenschieber“ nötig.

Der Stapellauf der MADALENE VINNEN , benannt nach der Frau des Reeders Friedrich Adolf Vinnen, war am 25.9.1921 in der Krupp-Germania-Werft in Kiel. Sie wurde für die Bremer Reederei Vinnen als frachttragendes Segelschiff mit 550-PS-Hilfsmotor in Fahrt genommen. Ein fest eingebautes Mittschiffsschott sollte das Übergehen von Getreide-Ladungen verhindern. Dennoch kam es mehrmals zu höchst gefährlichen Schlagseiten. Auf einer Rückreise am 1.3.1937 von Montevideo verrutschte in der Nähe der Azoren in einem Orkan die Ladung von 5.000 Tonnen losen Weizen und das Schiff bekam bis zu 50° Schräglage. Es kam zu Wassereinbrüchen und es mußte SOS gefunkt werden. Glücklicherweise ließ der Sturm nach und das Schiff konnte lenz gepumpt werden. Das Schiff machte noch einige Reisen, u.a. auch nach Australien, Chile und Argentinien und rundete dabei auch mehrmals Kap Hoorn.

Ab 1936 fuhr das Schiff als KOMMODORE JOHNSEN für den Norddeutschen Lloyd (NDL) als frachttragendes (Weizen und Salpeter) Segelschulschiff und legte dabei 97.469 sm zurück. Während des Zweiten Weltkrieges fuhr das Schiff nur noch in der Ostsee. Bei Kriegsende wurde es zuerst als Reparationsleistung an England übergeben und etwas später unversehrt von der Sowjetunion zusammen mit der PADUA, der späteren KRUSENSTERN, übernommen und nach einer längeren Werftliegezeit als Segelschulschiff SEDOV, benannt nach dem russischen Polarforscher Georgy Sedov (1877-1904), für das sowjetische Ministerium für Fischerei in Dienst genommen. Von 1957 bis 1966 war SEDOV ozeanographisches Forschungsschiff im Atlantik und später auch Schulschiff der sowjetischen Handelsmarine. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1990 wurde das Schiff fast ausschließlich nur noch für Repräsentations-Zwecke bei großen Windjammerparaden „verwendet“. Heute finanziert sich das Schiff nur noch aus den spärlichen Einnahmen von „Mitseglern“ (siehe oben). Daran kann auch ein bestehender deutscher Förderverein nicht sehr viel ändern. Das Schiff kann nur mit echten (und richtig bezahlten!) Aufgaben dauerhaft überleben.

MAGDALENE VINNEN war ursprünglich ein sog. „Drei-Insel-Schiff“. Die Bezeichnung kommt von den drei über die ganze Schiffsbreite auf dem Hauptdeck stehenden Deckshäusern: die achtere Poop, langes Brückendeck in der Mitte und die Back auf dem Vorschiff. Nur diese drei Decks hatten einen Holz-Decksbelag. Der Rumpf ist genietet und zeigt sehr völlige, aber dennoch elegante Linien, die sich in dieser Zeit kaum von den Rumpflinien der Frachtdampfer unterschieden. Beim Hauptspant sind die Bordwände nach oben sogar leicht eingezogen. Einen Kielfall hatten diese großen Segler nicht mehr. Vier große Ladeluken (drei auf dem Hauptdeck und eine auf dem Brückendeck), mit Holzplanken verschlossen, waren der Zugang für die Ladedecks. Im Brückendeck waren auch die Kammern für die Besatzung eingebaut. Die Dampf-Ankerwinde war in der Back eingebaut. Auf Back, Poop und Brückendeck standen insgesamt vier Vertikal-Spillköpfe für Verholarbeiten. Jeweils vor oder hinter den hinteren drei Masten stehen an Deck die neuartigen Brassenwinden mit ihren charakteristischen, konischen Spilltrommeln. Mit diesen Getriebe-Maschinen können mit Handkurbel-Antrieben sehr leicht die Brassen der einen Bordseite geholt und gleichzeitig in jene der anderen Bordseite lose gegeben werden.

Als Verbindung zwischen den drei „Insel-Decks“ gibt es jeweils an der Backbordseite schmale Laufbrücken. An der Achterkante des Backdecks stehen die sog. Laternentürme, in welche die Seitenlaternen eingebaut sind. Das Schiff fährt ausschließlich Stockanker. Sie hängen fallbereit in Sliplagern außenbords. Aufgenommen werden sie nach dem Ankermanöver von einem Ankerkran auf der Back. Gesteuert wird das Schiff von einem Doppel-Steuerrad auf einem Brücken-Podest. Das Notruder ist unter dem hinteren Oberlicht des Poopdecks eingebaut.

Der Bugspriet, aus Blechschalen genietet, besteht aus einem Stück (Hornbugspriet) und ist mit Wasser,- Stampf- und seitlichen Bugstagen, allesamt Rundeisenstangen, stabilisiert. Die vier Masten sind ebenfalls aus Stahlblech gebaut. Die drei Rahmasten sind nahezu baugleich. Der hintere hat nur etwas mehr Mastfall (Schräglage nach hinten). Die Untermasten reichen als ein Stück vom Mastfuß auf dem Innenkiel bis in Höhe der Bramsaling. Hier sind die Bramstengen angesetzt. Der Fockmast (Vormast) ist nach vorn zum Bugspriet mit sechs Stagen gestützt. Nur die mittleren vier tragen Stagsegel. Seitlich und nach hinten gibt es je Bordseite sechs Unterwanten und neun Pardunen. All diese Elemente des Stehenden Gutes sind, wie damals allgemein üblich, aus Stahlseil gemacht und mit Spannschrauben festgesetzt. Nur die jeweils drei vordersten Unterwanten sind mit Webeleinen ausgewebt. Bei den Toppwanten reicht die Auswebung wegen der schmaler werdenden „Stufen“ im oberen Bereich bis hinüber zu den jeweils benachbarten Pardunen.

Zwischen den Rahmasten (von vorn nach hinten: Fock-(Vormast), Großmast, Kreuzmast) gibt es jeweils vier Zwischenstage. Auch hier tragen nur die beiden mittleren Zwischenstagsegel, deren Stagliecke mit Legeln an den Stagen fest sind. Der Besanmast wird von drei Stagen gehalten. Auch hier sind nur die beiden unteren doppelt laufend, alle drei tragen aber Stagsegel. Das Besansegel ist durch zwei Gaffeln in Unter- und Oberbesan geteilt. Bei beiden werden die Unterlieken lose gefahren, sodaß diese beiden Segel mit insgesamt fünf Dempgordingen schnell zum Besan-Untermast aufgegeit werden können. Selbstverständlich hat jede Gaffel jeweils zwei Gaffelgeeren. Bei der oberen Gaffel wird die Schräglage mit einem Pieckfall eingestellt. Dennoch gibt es einen zusätzlichen festen Stropp vom Gaffeltopp zum Besan-Stengetopp. Baumdirken gibt es nicht. Die untere Gaffel und der Baum hängen mit festen Stropps zwischen den Gaffelnocken an der oberen. Das Schothorn des Gaffeltoppsegels kann mit einem Geitau zum Besan-Eselshaupt aufgegeit werden.

Auch alle Rahen sind aus Stahlblech genietet. Die drei Unterrahen sind mit Bügelracks unterhalb der Marssalinge fest und hängen in Kettenhangern. Die Marssegel sind geteilt: Unter- und Obermarssegel. Weil sie deshalb nicht sehr hoch sind, gibt es an ihnen auch keine Reffs. Desgleichen gibt es Unter- und Oberbramsegel. Ganz oben werden Royalrahen mit den gleichnamigen Segeln gefahren. Die Untermars- und Unterbramrahen sind mit ihren Racks in der Höhe unveränderlich an den Untermasten bzw. an der Vorderkante der Brameselshäupter fest. Dagegen können die Obermars-, Oberbram- und die Royalrahen bei aufgegeiten Segeln nach unten gefiert werden (Schiffsstabilität bei Sturm). Deren Racks gleiten deshalb in T-Schienen. Die weggefierten Rahen hängen dann in „Toppnanten“; die Obermars- und Oberbramrahen wegen des größeren Gewichts in jeweils vier und die Royalrahen in zwei Stück. Fock-, Obermars- und Oberbramrahen haben Toppnanten, mit denen die waagerechte Lage dieser Rundhölzer beim Segeln eingestellt werden kann. Die Untermars- und Unterbramrahen werden durch den Zug von Dumpern (Verbindungsseile zwischen den Rahnocken) eingestellt.

Die Brassen der drei unteren Rahen werden mit den holenden Parten über Wegweiserblöcke am Brückendeck-Schanzkleid geführt (die beiden vorderen Rahmasten) bzw. zu den Braßbäumen seitlich an der Poop und hier von Hand „fein-eingestellt“. Die stehenden Parten dieser Brassen werden von den von Kpt. J. C. Jarvis entwickelten Brassenwinden beim Herumbrassen beim Wenden oder Halsen (schnell) gezogen. Nur die (Stahlseil-)Schoten der oberen fünf Rahsegel fahren über Klappblöcke an den Rahnocken der darunterliegenden Rahen und über sog. Brillenblöcke in den Rahmitten zu den schweren, senkrecht stehenden Taljen (Klappläufer). Die unteren Klappläuferblöcke stehen dabei meist innerhalb der Mastgärten, so nennt man die Belegbänke um die Masten herum.

Nun noch einige Zahlen zur MAGDALENE VINNEN, Verdrängung mit Ladung: 6.148 t, Rumpf-Länge mit Bugspriet: 117,50 m, Länge zwischen den Loten: 99,23 m, Rumpfbreite: 14,90 m, Tiefgang: 6,50 m, Masthöhe über KWL: 56,16 m, Segelfläche: 4.195 m², Geschwindigkeit unter Segeln: 18 kn, Motor (heute): 1150 PS

Abmessungen der Rundhölzer in mm:

Unter-Rahmasten

Ø in Deckshöhe 900

Ø Masttopp 610

 

Besan-Untermast

Ø in Deckshöhe 700

Ø Masttopp 450

 

Bugspriet

Ø in der Bettung 700

Ø an der Nock 280

 

Unterrahen

Ø Rahmitte 620

Ø Rahnock 310

Längen 30660

Unter-Marsrahen

Ø Rahmitte 580

Ø Rahnock 290

Längen 28600

Ober-Marsrahen

Ø Rahmitte 520

Ø Rahnock 260

Längen 26530

Unter-Bramrahen

Ø Rahmitte 470

Ø Rahnock 235

Längen 23430

Ober-Bramrahen

Ø Rahmitte 400

Ø Rahnock 200

Längen 20330

Royalrahen

Ø Rahmitte 300

Ø Rahnock 150

Längen 14820

Besanbaum

Ø Baummitte 340

Ø Baumenden 240

 

beide Gaffeln

Ø Gaffelmitte 270

Ø Gaffelenden 190

 

Bramstengen

Ø Stengefuß 530

Ø Stengetopp 350

 

Besanstenge

Ø Stengefuß 610

Ø Stengetopp 400

 

Meine Skizze zeigt die MAGDALENE VINNEN, wie sie in Dienst gegangen ist: als Drei-Insel-Schiff. Heute findet man die SEDOV wesentlich umgebaut vor. Der hintere Teil des Hauptdecks (die Kuhl) ist überbaut, sodaß eine lange Poop entstanden ist. Die Ladeluken sind vollständig entfernt und andere Deckshäuser aufgebaut. Die geringsten Veränderungen hat es, wie oft in solchen Fällen, bei der Takelage gegeben. Diese Hauptumbauten stammen vermutlich aus der Zeit um 1980. Inzwischen können Sie ein Poster von der MAGDALENE VINNEN (beschnittenes Blatt 900 x 700 mm) als Schwarz-Weiß-Graphik bei mir erhalten. Außerdem gibt es eine Fotoserie mit 190 Detail-Farbfotos von der SEDOV auf CD-ROM. Bitte rufen Sie an: Tel.: 0721-47040072 oder juergen-eichardt@web.de, www.ship-model-today.de

Jürgen Eichardt

Weiterführende Literatur:

-      Handbuch der praktischen Seemannschaft auf traditionellen Segelschiffen“, Jens Kusk Jensen, HEEL Verlag Königswinter, 1998, ISBN 3-89365-722-3, 20 x 26 cm, 433 Seiten

-      Seemannschaft für Großsegler“, Lore Haack-Vörsmann, Pietsch-Verlag Stuttgart, 1992, ISBN 3-613-50166-X, 17 x 24 cm, 186 Seiten

-      Bemastung und Takelung der Schiffe“, Friedrich Ludwig Middendorf, Verlag Horst Hamecher Kassel, Reprint des Ausgabe von 1903, 19 x 28 cm, 400 Seiten

-      Die großen Segelschiffe – Ihre Entwickelung und Zukunft“, Walter Laas, Verlag Horst Hamecher Kassel, Reprint der Ausgabe von 1908, ISBN 3-920307-06-2, 19 x 28 cm, 127 Seiten

-      Deep-Water Sail“, Harold A. Underhill, Brown, Son & Ferguson Glasgow, 1952, ISBN 0-85174-172-X, 18 x 25 cm, 802 Seiten

-      Sail Training and Cadet Ships”, Harold A. Underhill, Brown, Son & Ferguson Glasgow, 1956, 18 x 25 cm, 373 Seiten

-      Die Vier- und Fünfmast-Rahsegler der Welt”, Hans Jörg Furrer, Koehler Verlag Herford, 1984, ISBN 3-7822-0341-0, 21 x 28 cm, 248 Seiten

Bildtexte:

Foto 01: Bei der „Kieler Woche 2006“ hatte die SEDOV einen schwarzen Rumpfanstrich: als „Statist“ für einen Spielfilm über die PAMIR.

Foto 02: Der Steuerstand der SEDOV. Rechts im Vordergrund der untere schwere Taljenblock für ein Rahfall.

Foto 03: Der „Mastgarten“ vom Vormast SEDOV. Die beiden unteren (doppelt laufenden) Zwischenstage für den Großmast werden mit Rundstäben seitlich am Mastfuß vorbeigeführt. Am Aufbau dahinter ist heute stehend der Reserveanker gezurrt.

Foto 04: Treppe zum Backdeck SEDOV. Links daneben die Nagelbank für die vier Backbord-Vorsegelschoten; darüber ein Laternenturm. Im (dunklen) Raum rechts befindet sich die Ankerwinde.

Foto 05: Eine der drei Brassenwinden auf SEDOV.

Foto 06: Am Vormast knapp unterhalb der Marssaling sind heute zwei Radardrehantennen mit ihren Schutzkörben installiert. Vorn sieht man einen doppelt laufenden Drahtseil-Stag mit (schwarzen) Tausendfüßlern. Diese Fadenbündel sind dazu vorhanden, daß sich das Unterliek vom darüber stehenden Untermarssegel nicht schamfielen kann.

Foto 07: Ansicht der Vor-Marssaling von hinten . Alle Masten und „Rundhölzer“ der SEDOV sind rot-orange gestrichen.

Foto 07: Untermast und Masttopp vom Besanmast SEDOV . Die Masttoppen sind, wie so oft, weiß gestrichen. Beide Gaffeln stehen links im Bild. Die "Webleinen" der Unterwanten sind angebundene Holzleisten, das hat man heute so.

Foto 08: MAGDALENE VINNEN unter "Vollzeug". Die hintere Kuhl ist noch vorhanden. Die Unterlieke der Besansegel sind nicht an den Rundhölzern fest.

Foto 09: MAGDALENE VINNEN mit quergebrassten Rahen. Außer allen Rahsegeln sind nur vier Stagsegel vom Vorgeschirr gesetzt. Wenn das Schiff nur Leesegel hätte....!

Foto 10: MAGDALENE VINNEN hat nur die drei untersten Zwischenstagsegel und die Unter-Marssegel gesetzt. Die Ober-Marssegel sind mit den Rahen bereits halb herabgelassen. Die Ober-Bramrahen und Royalrahen sind nach unten weggefiert.

Foto 11: Bei diesem Foto erkennt man gut die überlappenden Stöße der Plattengänge vom Rumpf. In der Gillung ist der Heimathafen BREMEN aufgemalt. In der Bildmitte am Rumpf ein Braßbaum mit seinen Ketten.

Foto 12: Eine Foto von 1933: .

Foto 13: Der Stockanker wurde gefischt.

Foto 14: Vorsteven von MAGDALENE VINNEN.

Foto 15: Noch eine klare Aufnahme von MV.

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