Segelschulschiff GREIF (ex. WILHELM PIECK)

sail training ship GREIF (formerly WILHELM PIECK)

Im Frühjahr 1951 wurde auf der Warnow-Werft in Rostock-Warnemünde der Rumpf für ein Segelschiff gebaut, welches noch heute, 55 Jahre später, wegen seiner Eleganz und schönen Linienführung bei Seglertreffen regelmäßig für Aufsehen sorgt. Freiwillige Arbeitsleistungen und Spenden finanzierten den Bau, der unter größten Schwierigkeiten (Material- und Werkzeugmangel) stattfand. Der als Schonerbrigg getakelte Großsegler erhielt bei seiner Indienststellung den Namen des sog. "Arbeiterpräsidenten" der DDR, Wilhelm Pieck, und wurde einer Massenorganisation, der „Freien Deutschen Jungend“, allerdings schon mit Blick auf die bald zu gründende paramilitärische Organisation GST (Gesellschaft für Sport und Technik) zur Ausbildung von seemännischen Nachwuchs für die Offiziersanwärter der DDR-Marine, übergeben. Während ihrer Dienstzeit wurden auf der „Wilhelm“, wie sie umgangssprachlich genannt wurde, ganze Generationen von künftigen Seefahrern planmäßig ausgebildet. Die Ausbildungstörns führten zu Hafenstädten der Ostseeanrainer-Staaten. Einzige Ausnahme war eine Schwarzmeer-Reise im Jahre 1957, welche in 99 Tagen absolviert wurde. Allein bis 1988 gab es 23 Werftaufenthalte und 13 Dockungen, bei denen auch Umbauten durchgeführt wurden. Auch nach der „Wende“, als das Schiff endlich den Namen GREIF erhielt, wurde es notwendigerweise mehrmals modernisiert.

Der relativ kleine Großsegler wurde vom Warnemünder Schiffbauingenieur Wilhelm Schröder als Ausbildungsschiff konzipiert. Kiellegung war am 27. Februar 1951, Stapellauf bereits am 26. Mai und die Indienststellung fand im Beisein des Namensvetters nach dem Auftakeln (vier Wochen) in Wismar am 2. August des gleichen Jahres statt. Eine sehr gute Darstellung der Geschichte der GREIF findet man in (1) und (2).

Seinem Sinn als Ausbildungsschiff entsprechend, ergaben sich die Hauptabmessungen, die Form des Rumpfes und die Ausführung der Takelage. Der Rumpf hat als nicht-frachttragendes Segelschiff eine scharfe Klipperform mit starker Aufkimmung, großem Kimmradius, V-förmige Vorschiffs- und U-förmige Achterschiffspanten . In einem angesetzten Kastenkiel sind für eine hohe Krängungsstabilität insgesamt 40 t Ballast eingebaut. Weiterer Ballast ist unterhalb des Zwischendecks an den Bordseiten gestaut. Das Spiegelheck ist wie bei einer Jacht schrägstehend und leicht gewölbt; der Klipper-Vorsteven weit ausragend. Das Oberdeck ist abgesetzt. Vorn findet man eine halbhohe Back und achtern ein ebenfalls halbhohes Quarterdeck. Alle Decks sind mit Kiefernplanken belegt. Die Seitenansicht des Rumpfes vermittelt mit dem Holz-Handlauf an Oberkante Schanzkleid und einer heute blau gestrichenen Wallschiene in Höhe des Hauptdecks den Eindruck eines durchgehenden Decks. Der Rumpf wurde auf 63 Bauspanten vollständig aus Stahl gebaut. Die Plattengänge wurden gejoggelt genietet und die Stöße geschweißt. Im Rumpf gibt es sechs wasserdichte Schotten. Das Hauptdeck-Schanzkleid hat für den schnellen Abfluß überkommender Seen je Bordseite drei Speigatts.

Heute hat das Schiff einen Hilfsmotor von 233 PS, der auf einen Verstellpropeller wirkt, und zur Navigation in engen Fahrwassern sogar ein Bugstrahlruder.

Beim Takelriß der WILHELM PIECK wurden vor allem zwei Zugeständnisse an die Funktion eines Segelschulschiffs gemacht, die ein Schiff dieser Größe normalerweise nicht bekommt. Der recht kurze Fock-Untermast erhielt auf halber Höhe eine zusätzliche, eigentlich völlig unnötige Marssaling. Man wollte damit offenbar das Aufentern in die Takelage etwas schwieriger gestalten. Und zwischen den Masten konnte an der Achterkante des Fock-Untermastes ein sog. Schonersegel gesetzt werden. Hier bestand offenbar der Wunsch, das Schiff auch als reinen Schoner zu segeln. Doch schon der erste Kapitän der WILHELM PIECK, Ernst Weitendorf, ein alter Kap-Hoorn-Fahrer, ließ dieses Segel bei der ersten Garantiedurchsicht im Januar 1952 wegen Uneffektivität entfernen und statt dessen erhielt das Schiff drei Zwischenstage. Vorher gab es zwischen den Eselshäuptern einen sog. Knickstag.

Der Vormast ohne angesetzten Klüverbaum, ein sog. Hornbugspriet, und die beiden Untermasten waren von Beginn an aus Stahl. Alle anderen „Rundhölzer“ waren aus Holz gefertigt. Später wurden sie mit Ausnahme der beiden Stengen auf Stahlausführungen geändert. Wanten, Stage und Pardunen und alle hochbeanspruchten Teile des Laufenden Gutes sind aus Stahlseilen gemacht und die Teile des Stehenden Gutes allesamt mit Spannschrauben festgezogen. Wasser- und Stampfstag sind sogar Rundstangen, wie natürlich auch die Püttingsstangen unterhalb der Salinge.

Auf dem Quarterdeck stand ursprünglich nur ein kleines hölzernes Kartenhaus, davor gab es einen offenen Fahrstand. Auf dem Hauptdeck waren nur zwei ebenfalls hölzerne Niedergänge, dafür aber zwei spitzgatte Holz-Rettungsboote aufgestellt. Das Segelschulschiff erfuhr in seiner Dienstzeit bis heute zahlreiche Umbauten, als deren Ergebnis die Deckshäuser und die Verdrängungen stets größer wurden, die Segelfläche vor allem vom Fock-, Großstag- und Großsegel aber reduziert wurde. Heute kann die GREIF bei günstigem Wetter zwei ausgesprochene Schönwettersegel setzen: oberhalb der Royalrah ein dreieckiges Skysegel (es fehlt in meiner Skizze) und am äußersten, dünnsten Vorstag den Jager, ein sehr großes dreieckiges Stagsegel. Groß-, Fock- und Bramsegel haben zwar noch Reffs, doch sie werden in der Praxis kaum noch gerefft, weil sich das Reffen eines Segels nur bei langen Schlägen lohnt.

Die Ausführung und Dimensionierung aller Takelageelemente entspricht der Zeit der letzten großen Frachtsegler um die Jahrhundertwende. Fock- und Marsrah sind mit Bügelracks am Fock-Untermast fest und werden von Hangerketten getragen. Dagegen fahren die beiden wegfierbaren Rahen an der Fockstenge mit Tonnenracks auf und ab. Die Bereiche der Stenge, an denen die Tonnenracks auf und ab fahren, sind zylindrisch und sind mit Kupferschienen bewehrt. Das Drehreep für die Bramrah ist ein Kettenläufer und das Drehreep für die Royalrah ein Drahtläufer. Auf das Bramsegel ist heute das Wappentier der Stadt Greifswald, der „Vagel Griep“ (Vogel Greif), aufgemalt. Nur die beiden unteren Rahen können mit Toppnanten waagerecht eingestellt werden. Die oberen beiden Rahen stellen sich durch den Zug ihrer Schoten und Außenlieks ebenfalls nahezu waagerecht ein. Im weggefierten Zustand (bei aufgegeiten Segeln) hängen sie in Seilen, die etwas fälschlich Toppnanten genannt werden.

Großstagbaum und Großbaum sind mit Lümmellagern an den Masten fest. Die Großgaffel gleitet mit einem Gleitschuh an einer T-Schiene an der Achterkante des Großmastes auf und ab. Zum Wegnehmen des Großsegels wird die Gaffel heruntergelassen. Das Vorliek des Großsegels ist mit zahlreichen Rutschern an der T-Schiene fest. Zum Wegnehmen des Großstagsegels wird das Fallhorn am Großstag heruntergezogen und das Schothorn zum Fockmast gezogen. Auch hier ist das Baumliek mit Rutschern am Großstagbaum fest. Baum- und Gaffelliek des Großsegels sind mit Bändseln angebunden. Die Brassen der Fockrah fahren von ihren Nockbeschlägen zu den Braßbäumen am Achterschiff. Dagegen fahren die Draht-Brassen der oberen Rahen zu Umlenkblöcken am Großmast und von dort zu den Belegstellen am achteren Mastgarten. In die senkrechten Stücke sind zur Kraftverstärkung Taljen mit Hanfläufern eingebaut. Auch die senkrechten Teile der Schoten der oberen drei Rahen haben Taljen. Deren Drahtläufer fahren von den Schothörnern über schwenkbare Schotenblöcke an den Achterkanten der Rahnocken zu den sog. Brillenblöcken unterhalb der Rahmitten und von dort nach unten zum Fock-Mastgarten.

Baumdirk, Gaffelgeer, Groß- und Großstagschot und alle Schoten der Stagsegel sind doppelt vorhanden. Je nach dem, auf welchem Bug das Schiff segelt, kommen sie wechselseitig zum Tragen. Der Piekfall, obwohl nur einfach vorhanden, hat zwei holende Parten. Er wird beim Setzen der Gaffel beidseitig von der Mannschaft gezogen. Die Hals am unteren Ende des Gaffeltoppsegels muß nach jedem Wendemanöver über den Piekfall hinweg auf die Leeseite gebracht werden. Das Vorliek des Gaffeltoppsegels ist mit Legeln (Rundstahlringe) an einem Stag an der Achterkante der Großstenge fest. Die gleichen Ringe tragen auch alle Staglieks der Stagsegel. Fock-, Innenklüver- und Großstag fahren als hochbeanspruchte Stage doppelt nach oben. Für das Aufgeien der Rahsegel sind Gordings, Refftakel und Geitaue vorhanden. Ihre Anordnung an den Segeln war über die Jahre, wie Fotos belegen, recht wechselhaft.

Der Segler hat auf dem Backdeck ein nur manuell betriebenes, kombiniertes Anker- und Verholspill mit 11 Spillspaken. Das Spill kann auch für schwere Arbeiten in der Takelage (z. B. Aufziehen der Rahen beim Auftakeln) verwendet werden. Zur Ankerausrüstung gehören zwei Patentanker von 422 bzw. 460 kg Gewicht und je neun Kettenlängen (Stegkette) von je 25 m.

Noch einige technische Daten: Länge über Bugspriet: 41,00 m; Länge zwischen den Loten: 29,15 m; Rumpflänge über alles: 35,40 m; Breite auf Spanten: 7,60 m; Seitenhöhe: 4,50 m; Kielfall: 0,23 m; 15 Segel; Segelfläche: etwa 500 m²; Segelgeschwindigkeit: max. 12 kn; Verdrängung: etwa 290 t.

Informieren kann man sich über die GREIF auf folgenden Webseiten im Internet: www.sssgreif.de , www.rahseglergreif.de , www.schonerbrigggreif.de und auch bei www.tallship-fan.de . Über den Bauzustand der WILHELM PIECK von 1978 gibt es bei mir einen sehr ausführlichen Modellplan im M 1:33,33 und einen einfachen Plan im M 1:100 (Tel.: 0721-47040072, juergen-eichardt@web.de ). In Kürze erscheint ein sehr umfangreiches Planbuch über die GREIF. Die hier abgedruckte Seitenansicht ist Teil dieses Buches (M 1:120 im Buch!).

Jürgen Eichardt

Weiterführende Literatur:

(1)          Schonerbrigg GREIF – ex. WILHELM PIECK“, Robert Rosentreter, edition rostock maritim, INGO KOCH VERLAG Rostock, ISBN 3-935319-25-8, 2001

(2)          Ein Schiff wird 50”, Horst Rickert, Schiffahrtsgeschichtliche Gesellschaft OSTSEE e.V. Rostock, 2001

(3)          Segel in Sonne und Sturm“, Götz R. Richter, Verlag Sport und Technik Neuenhagen, 1958

(4)          Unter Segeln durch die Ostsee“, Pelzer/Willmann, VEB F.A. Brockhaus Verlag Leipzig, 1979

(5)       "Segelschulschiff GREIF", Jürgen Eichardt, SIMONFREY-Verlag Düsseldorf, 2007, ISBN 978-3-938494-05-5, heute Eigenverlag als Ringbuch.

Bildtexte:

Foto 1: Eines der wenigen Fotos, das die WILHELM PIECK noch mit Schonersegel zeigt. Die Unterrahen sind, seemännisch richtig, stärker angebraßt. Auf dem Quarterdeck sind das kleine Kartenhaus zu sehen und die Holz-Beiboote auf dem Hauptdeck. Die Hals vom Gaffeltoppsegel steht noch an Luv. Offenbar waren alle Rundhölzer in dieser ersten Zeit weiß gepönt. Warum die Flagge „auf Halbmast“ gesetzt ist…?

Foto 2: Die WILHELM PIECK zu einem späteren Zeitpunkt unter „Vollzeug“ auf dem Backbordbug liegend; oben im Topp der Fockstenge schon das Skysegel.

Foto 3: (Danke Werner (Zuschke) für die Fotos) Die Segel sind am Liegeplatz am Ryck-Strom in Greifswald-Wieck nur probeweise losgemacht.

Foto 4: Das Aussehen etwa bei der 1957er-Reise ins Schwarze Meer. Schon verlängertes Deckhaus auf dem Quarterdeck; die Beiboote werden außenbords an Zurrbalken gefahren.

Foto 5: Die GREIF heute bei der Einfahrt in den Ryck-Strom nach einem Tagestörn: neue Alu-Deckhäuser, höhere Relinge, neue Schlauchboote, Werbebanner der Sponsoren, „Badegäste“ an Bord.

Foto 6: Detailsicht auf den neuen Fahrstand auf dem Quarterdeck.

Foto 7: Im Hafenklar-Zustand liegt der Großbaum auf einer Baumstütze. Das große Schlauchboot unter einer roten Plane, in Bildmitte die beiden oberen Taljenblöcke der Großschot.

Foto 8: Die Legel vom eben reparierten Mittelklüversegel werden neu an das Stagliek angebunden.

Foto 9: Heck-Steuerstand. An der Reling ist ein Reserve-Stockanker gezurrt. Die holenden Parten von Großschot und Gaffelgeer werden am Doppel-Poller belegt.

Foto 10: Nock der Bramrah bei gesetzten Segeln. Die erste Länge der Royal-Schot ist Kette.

Foto 11: Der Bug des Schiffes mit der Nagelbank für die Vorstagsegel-Niederholer und davor die Luke zur Vorpiek. Links oben sehen wir das Heck vom Taucherschiff ARTUR BECKER.

Foto 12: Vagel Grip, Vogel Greif, das Wappentier auf dem Bramsegel.

Foto 13: Blick in den Fockmast, Bramsaling, darunter der Tragarm für die neue Radar-Drehantenne, geborgene Segel.

Foto 14: Arbeiten in den Fußperden der Fockrah. Die vier waagerechten Fußperde, zwischen den Unterwanten gespannt, nennt man Schwichtinge. Für die Arbeiten an den Zwischenstagsegeln sind sie nötig.

Foto 15: Hanse-Sail Rostock, das östliche Gegenstück zur Kieler Woche. Danke, Herr Gries, für ihre Meister-Fotos. Hier ist sogar der Große Jager am äußersten Vorstag gesetzt. Unter dem Holz-Namensschild erkennt man am Vorschiff das (blaue) runde Zeichen für den Sitz des Querstrahlruders.

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